DER SICHERHEITSDIENST

58 DSD 4 | 2023 WIRTSCHAFTSSCHUTZ erfuhr. Auch die Methoden haben sich laut Insidern kaum geändert. Stichwörter TiergartenMord in Berlin, Giftanschlag auf Alexander Litwinenko und der Versuch, Sergej Skripal und seine Tochter mit Gift zu ermorden. Schon 1997 sagte der Überläufer Stanislaw Lunew aus, dass der Militärgeheimdienst sechsmal so viele Auslandsagenten einsetzte wie der unter der Leitung von Zivilisten ohne operative Erfahrung stehende SWR. Fester Bestandteil der GRU ist die berüchtigte Spezialtruppe Speznas, die sich seit eh und je aufs Töten versteht. Auch der FSB, der sogenannte föderale Sicherheitsdienst, ist auch in der „Auslandsaufklärung“ aktiv. Was die Ukraine betrifft, ist der FSB sogar das maßgebliche Organ, weil Putin die einstige Sowjetrepublik als Inland betrachtet. Es ist gesichert, dass der russische Machthaber den FSB über den bevorstehenden Angriff auf das Nachbarland informierte, nicht aber den SWR. Apropos Botschaft „Unter den Linden“. In Sicherheitskreisen wird der festungsartige Gebäudekomplex auch im technisch-operativen Sinne als Spionagezentrale eingeschätzt. Das funktioniert zum Teil mit einfachsten Mitteln. Büros vom Bundestag grenzen praktisch unmittelbar an den riesigen Gebäudekomplex an. Und allein schon mit normalen optischen Mitteln wie Ferngläsern können von der Botschaft aus Büros der MdBs ausgespäht werden. Doch damit nicht genug. Hinzu kommen Satellitenempfangsanlagen und kastenartige Aufbauten, die auf dem Dach des Botschaftsgebäudes installiert sind. Besonders verdächtig ist eine „Cage antenna“ (Reusenantenne). Sicherheitskreise gehen davon, dass damit alles, was in der deutschen Hauptstadt gesendet wird, abgehört werden kann. Bereits im vergangenen Jahr hat der Verfassungsschutz vor „Abhörrisiken und die Gefahr von unbefugten Datenausleitungen“ gewarnt, die „insbesondere in sensiblen Bereichen wie im Regierungsviertel in Berlin“ als reale Gefahr bestehen könnten. Allerdings kann die Reusenantenne mehr als nur Berlin belauschen. Ihre maximale Reichweite beträgt gut 800 Kilometer. Genug, um nahezu ganz Deutschland abzuhören. Seit der Abschiebewelle an der Botschaft sind die Russen verstärkt auf sogenannte „Illegale“, Behördenausdruck „Non-Officials“, übergegangen. „Weg von den an den Botschaften stationierten Agenten, hin zu mehr reisenden, illegalen Agenten“, wie es der Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang formuliert. Um solche schwierig aufzuspürenden Agenten mit Tarnidentitäten zu platzieren, greifen die russischen Dienste gerne auf angebliche oder tatsächliche Nicht-Russen zurück. So flogen in Großbritannien jüngst fünf bulgarische Staatsangehörige auf. Mehrheitlich mit unauffälligen Vitae, zum Beispiel Laborassistentin für ein privates Gesundheitsunternehmen oder Fahrer für Krankenhäuser. Nur Orlin Roussev, der mutmaßliche Kopf der Spionagezelle, war als Chef eines Unternehmens, das sich mit Signalaufklärung (SIGINT, Abfangen von Kommunikation und elektronischen Signalen) befasste, etwas eindeutiger unterwegs. Welchen Aufwand der GRU betreibt, um „Illegale“ in Zielländern zu positionieren, macht der Fall Maria Adela Kuhfeldt Rivera deutlich. Eine GRU-„Illegale“, die in Wahrheit den weitaus weniger klangvollen Namen Olga Kolobowa trug. Attraktiv und kokett, ganz wie die 2010 in den USA aufgeflogene Anna Chapman. Fünf Jahre lang betrieb die angeblich 1978 in der peruanischen Stadt Callao Geborene in Neapel eine exklusive Boutique für Designerschmuck und Luxusartikel, die nicht nur zufällig ganz in Nähe des Allied Joint Forces Command der NATO lag. Die GRU finanzierter seiner inoffiziellen Mitarbeiterin ein Luxusleben. Eine exklusive Wohnung im NobelViertel Posillipo, mit Blick auf den Golf von Neapel, ein eigenes Produktions- und Handelsunternehmen (Serein S.r.l.) und unerschöpflich erscheinende Geldmittel, die kaum aus dem mäßig laufenden Geschäften stammen konnten. Schnell wurde die muntere„Maria Adela“ ein Mitglied der High Society Neapels, wozu auch ihre Führungsposition (Secretary) beim örtlichen Lions Club beitrug. Gegründet von einem NATOOffizier, zählten überwiegend Angehörige des Verteidigungsbündnisses und der US Navy zu den Mitgliedern. Dabei hatte die„Illegale“ nicht die peruanische Staatsangehörigkeit, sondern die russische. Die Begründung, die sie dafür auftischte: Sie, die angebliche Tochter eines Deutschen und einer Peruanerin, sei von der inzwischen von ihrem Mann verlassenen Mutter 1980 mit zur Olympiade nach Moskau genommen worden. Dort habe die Mutter, als sie abrupt nach Peru reisen musste, ihr Kind in einer sowjetischen Familie untergebracht, ohne jemals zurückzukehren. Eine NotLegende, denn„Maria Adela“ war zuvor mit ihren Bemühungen, die peruanische oder auch deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen, kläglich gescheitert. In Peru wurde ihr Versuch, mit gefälschten Urkunden zum Ziel zu gelangen, sogar öffentlich gemacht – allerdings auf einer wenig besuchten Website. Auch in Deutschland kam die Antragsbearbeitung wegen „offener Fragen“ ins Stocken. Symbolbild: Die Russische Föderation hat bei der Fernmelde-Elektronischen Aufklärung massiv aufgerüstet und steckt hinter vielen IT-Angriffen. Doch auch die konventionelle Geheimdienstarbeit, beispielsweise Treffs von reisenden Führungsoffizieren mit „Illegalen“, hat Hochjunktur. Bild: Günter Havlena/pixelio.de

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