DER SICHERHEITSDIENST

WIRTSCHAFT UND POLITIK 32 DSD 4 | 2023 kräfte. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Professorin an der Ludwig-Maximilians Universität München, Monika Schnitzer, die auch zum Kreis der sogenannten Wirtschaftsweisen gehört, sattelte im Juli in der Süddeutschen Zeitung (SZ) noch eins drauf: „Deutschland braucht 1,5 Millionen Zuwanderer im Jahr, wenn wir abzüglich der beträchtlichen Abwanderung jedes Jahr 400.000 neue Bürger haben und so die Zahl der Arbeitskräfte halten wollen.“ Auch wenn diese Dimension von einigen Kritikern angezweifelt wird, zeigt sie doch, in welchen Größenordnungen sich die Prognosen bewegen. Vorurteile – einst und jetzt Die Hürden für eine solche Mammutaufgabe sind jedoch enorm und beginnen nicht selten außerhalb der Unternehmen. Vor fünf Jahren schon hatte die SZ den Fall eines neuen Mitarbeiters in einer Telekommunikationsfirma in Wörthsee bei München zum Aufhänger genommen, über die Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung zu berichten. Der neue Kollege, der bestens für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, fand auch nach Monaten keine Wohnung. „Der ausländische Familienname des neuen Kollegen ist vermutlich ein zusätzliches Hindernis gewesen“, vermerkt das Blatt. Sind wir auf dem Weg, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen? Im Oktober 1960 hatte der deutsche SPD-Abgeordnete Willy Odenthal im Europäischen Parlament in Straßburg gemeint, die anderen EWG-Länder davor warnen zu müssen, dass „sich eine Elite italienischer Arbeiter als kommunistische Agenten in den Betrieben und in der Land-/Bauwirtschaft der Bundesrepublik betätige“. Odenthal, der auch mal NSDAP-Mitglied war, ist längst vergessen. Sein unheilvolles Schüren von Vorurteilen aber hat die Zeiten überdauert. Eine solche „Willkommenskultur“ kann dann schon mal dazu führen, dass die Loyalität zum Unternehmen oder zum Land und damit die Grundlage jeglicher Sicherheitsverantwortung Risse bekommt. Aus den Erfahrungen nichts gelernt? In den 1960er-Jahren ließen die sogenannten geburtenschwachen Kriegsjahrgänge bei gleichzeitiger Senkung der durchschnittlichen Arbeitszeit die Arbeitskräftereserven schwinden. Der drastische Rückgang von potenziellen Arbeitskräften sorgte zusammen mit einem kräftigen Wirtschaftswachstum und dem nach August 1961 wegen des Mauerbaus versiegten Zustrom von Flüchtlingen aus der DDR für eine erhebliche Lücke auf dem Arbeitskräftemarkt. Politisch setzte man auf bilaterale Verträge, unter anderem wurde bereits in diesem Jahr das Anwerbeabkommen mit der Türkei geschlossen. In einem Beitrag der ARD Tagesschau vom Juli wurde über eine Anwerbung von Pflegekräften im indischen Bundesstaat Kerala berichtet. Nur marginal werden Probleme angerissen. „Viele Inderinnen und Inder sprechen gut Englisch. Extra eine neue Sprache zu lernen, ist eine große Hürde. Deshalb konkurriere Deutschland mit englischsprachigen Ländern wie Irland, England oder Kanada um die jungen Fachkräfte“, heißt es dort. Unausgesprochen die Gefahr, dass die vornehmlich weiblichen indischen Pflegekräfte bei einer gescheiterten Einbindung in das hiesige (Arbeits-)Leben um eine Alternative nicht verlegen sein dürften. Ein Aspekt, den Personaler nicht übersehen sollten. Von 1960 bis zum Anwerbestopp im Jahr 1973 – ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise – stieg die Zahl ausländischer Erwerbstätiger in Deutschland von etwa 280.000 auf über zweieinhalb Millionen Menschen an. Im Zuge der Globalisierung rückten in der deutschen Migrationspolitik in den 1980er-Jahren überregionale und transnationale Flüchtlingsströme in den Vordergrund. Die Innenpolitik war gegen Ende der 1980er-Jahre geprägt von aufgeregten, zuwanderungspolitischen Debatten. Die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hielt dabei an der Grundauffassung fest, dass der Aufenthalt der Bild: # 1344263988 / istockphoto.com

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